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17. Februar 2017

Fünf Karate-Gedichte im Ryūkyū-Stil

Verschiedene Karate-Größen befassten sich über den rein körperlichen Aspekt hinaus auf künstlerische Weise mit ihrer kämpferischen Tradition. Sie schufen unter anderem Poesie, mit der sie ihre Eindrücke, Gefühle aber auch ihre Lehre in Bezug auf Karate verarbeiten und weitergeben konnten. Eine von ihnen genutzte Art von Gedicht ist das Ryūka 琉歌 (okin.: Rūka), d. h. das "Ryūkyū-Gedicht". Ein Ryūka ist aus insgesamt dreißig Silben (Moren) aufgebaut, die dem Muster 8 Silben – 8 Silben – 8 Silben – 6 Silben folgen.

Weil Ryūka ein Bestandteil der okinawanischen Kultur sind, eignen sie sich besonders, um Karate, das derselben Kultur entspringt, zu besingen und zu erläutern. Autoren solcher Karate-Gedichte im Ryūkyū-Stil zeigen sich bewusst heimatverbunden. Im Grunde verdeutlichen sie damit, wo sie den Platz oder zumindest die Wurzeln ihres Karate sehen. Durch den Gebrauch von okinawanischer Sprache sind Ryūka nicht ohne weiteres für japanisch oder chinesisch sprechende Menschen verständlich.

 

Hier möchte ich fünf Ryūka vorstellen, die von drei okinawanischen Karate-Lehrern im 20. Jahrhundert gedichtet worden sind. Bei meinen Übersetzungen versuche ich der ursprünglichen Silbenfolge möglichst nahzukommen, da sie für die künstlerische Wirkung der Kurzgedichte von Bedeutung ist.

 

Was Karate überhaupt ist, beschreibt Kaneshima Shinsuke 兼島信助 (1897–1990) in einem seiner Ryūka ausdrucksvoll. Obwohl Kaneshima unter vielen okinawanischen Adepten übte, scheint Tokuyama Chōgi 渡久山朝義 den größten Einfluss auf ihn gehabt zu haben. Denn er benannte seine Schulrichtung nach ihm: Tozan-Ryū 渡山流 (Strömung von Tokuyama). Als Herkunftsland des Karate gibt Kaneshima in dem Gedicht Okinawa an, das in seiner okinawanischen Heimatsprache Uchinā ausgesprochen wird und übersetzt "Seil in der offenen See" bedeutet. Wie in vielen Ryūka verwendet auch er okinawanische und hochjapanische Sprachbausteine für seine Komposition:

 

Uchina teru Kuni nu

Bu no Michi ya Karate

 

Umi hasute narate

Wado yu mamura.

 

Des "Seil in der offenen See" heißenden Landes

kriegerischer Weg ist die leere Hand.

 

Bedenkt man ihn, lernt man ihn,

sich selbst man offenbar beschützt.

 

In Ryūkyū wurden Kampfkünstler ganz allgemein mit dem Ausdruck Bushi 武士 bezeichnet, der in dem Fall auch als "Kampfkünstler" übersetzt werden kann. Ein Idealbild eines Bushi zeichnet der okinawanische Karate-Lehrer Nagamine Shōshin 長嶺将真 (1907–1997). Auf der Grundlage von Einflüssen verschiedener okinawanischer Fachleute stellte er die Schulrichtung Matsubayashi-Ryū 松林流 (Strömung des Kiefernhains) zusammen. In seinem Ryūka vergleicht Nagamine einen Kampfkünstler mit einem Vogel im Flug:

 

Bushi no Mi ya Sura ni

tobu Toi no Kukuchi

 

michimitin Ti niya

tuiyanaran.

 

Des Kampfkünstlers Körper in der des im Himmel

fliegenden Vogels Verfassung ist;

 

auch wenn man ihn fortwährend betrachtet, die Hand

ihn nicht greifen kann.

 

Für Kaneshima ist ein echter Bushi nicht einseitig ausgebildet. Sein diesbezügliches Gedicht bedarf kaum einer Erklärung:

 

Kata ya Gotai zukui

Waja ya Shin mamui

 

tomo ni sunawatedo

Bushi ya nayuru.

 

Die Form den fünf Körperteilen hilft,

Die Technik den Körper beschützt:

 

ist man mit beiden ausgerüstet,

ein Kampfkünstler man wird!

 

Wie technische Fertigkeit (Waza 技, okin.: Waja) für Motobu Chōyū 本部朝勇 (1857–1927) beschaffen sein muss, wird in dem folgenden Lehrgedicht beschrieben, das von ihm stammen soll. Motobu lernte u. a. von Itosu Ankō 糸洲安恒 (1831–1915) und seinem eigenen Vater. In den Übertragungslinien, die auf Motobu zurückgehen, gilt es als "geheim überliefertes Karate-Gedicht". Ähnlich wie in dem Ryūka von Nagamine findet eine Metapher aus der Natur Verwendung:

 

Kaji ni uchinabiku

Waka-Daki no gotoni

 

Waja ya muchi-muchi to

karuku kawashi.

 

Wie sich im Wind beugender

junger Bambus

 

die Technik, rund und dick,

leicht ausweicht.

 

Auch unser letztes Beispiel soll auf Motobu Chōyū zurückgehen. Mittels einer Gegenüberstellung regt dieses Ryūka den Karate-Schüler an, sich nicht mit oberflächlichen Erkenntnissen und Fertigkeiten zufriedenzugeben, sondern tiefgründig zu lernen:

 

Machi no Ni no Fukasa

futeru umishiyuru

 

Waja no Oku-Bukasa

manade shiyuru.

 

Der Kiefer Wurzel Tiefe

grabend man erkennt!

 

Der Technik innere Tiefe

lernend man erfährt!

 

Anmerkung

 

Seltene Informationen über viele Kampfkünstler aus Ryūkyū, deren Kampfkunst und besondere Fertigkeiten finden sich in meinem Buch "Higaonna Kamesuke über Karate in Okinawa, Japan & Hawaiʻi".

 

Bibliografie

 

Budō Taimusu (Hrsg.): Budō Shunjū (Frühling und Herbst der Kampfwege), Tōkyō 1966

 

T. Hokama: Okinawa Karate Retsuden Hyakunin (Biografien von einhundert Personen des okinawanischen Karate), Ōzato 2001

 

S. Nagamine: Shijitsu to Kuden ni yoru. Okinawa no Karate Sumō Meijin-Den (Überlieferungen zu Meistern des okinawanischen Karate und Sumō – historische Tatsachen und mündliche Überlieferungen verwendend), Tōkyō 1986

 

S. Takamiyagi et al.: Okinawa Karate Kobudō Jiten (Lexikon des okinawanischen Karate und Kobudō), Tōkyō 2008

 

Henning Wittwer

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